Einleitung

Die vier Zeitangaben (1,1; 1,15; 2,1; 2,10) ergeben eine Gliederung der Schrift in vier Teile[01]. 2,10 wird in 2,20 wiederholt, und die dritte Zeitangabe ist dem Ereignis nachgestellt. Über die Person Haggais erfahren wir nur, dass er ein Gottessprecher, ein Prophet war. Gehörte er zu den Heimkehrern aus Babylon? In den Listen der Heimkehrer (Esr 2; 8; Neh 7) erscheint er nicht. Gehörte er also zu den im Lande Gebliebenen? Die uns vorliegende Schrift ist ein Bericht über das Wirken Haggais, eine „Chronik”. Die Gottessprüche, welche Haggai verkündet hatte, sind in diesen Bericht von seinem Wirken einbezogen und dem „Chronisten” vermutlich von Schülern Haggais vermittelt worden. Einige kleine spätere Eingriffe sind nicht erheblich.

In Haggais Verkündigung geht es um den Wiederaufbau des Tempels nach der Rückkehr der Verbannten aus Babylonien. Esra 4 bis 6 berichten davon. Esr 5,1 werden die Propheten Haggai und Sacharja genannt, die beim Wiederaufbau ein Rolle spielten. Doch auch der Kommissar des Perserkönigs, Serubbabel ben Schealtiel – selbst Jude – und Jeschua, der Großpriester – dieser Titel erscheint erst jetzt nach dem Exil – kommen in Esra 5,2 vor, die für Haggai eine besondere Bedeutung haben. Wichtig ist dabei die Kontinuität, an die sich große Hoffnungen knüpften. Denn Serubbabel war der Enkel Jojakins, des vorletzten Königs von Juda und somit Nachkomme Davids, und Jeschua war der Enkel des letzten vorexilischen Erzpriesters Seraja.

Dass es Widerstände gegen den Tempelbau gab, kann man auch im Buche Esra nachlesen. Sind es aber die gleichen Widerstände und Schwierigkeiten, mit denen sich Haggai auseinandersetzen musste? Ein Vergleich zwischen dem Esrabuch und Haggai zeigt, dass das nicht der Fall ist. Denn die Schwierigkeiten, von denen in Esra 4 die Rede ist, haben sich laut Esr 4,6 –7.11 unter König Xerxes (485 – 465) zugetragen, also nach der Tempelweihe im Jahre 515, während Haggai unter Dareios I. (521 – 586), genauer: vom 29. August bis zum 18.Dezember 520 gewirkt hat, also vor dem Tempelbau. Denn um diesen ging es ja.

Die Widerstände waren im Wesentlichen innerjüdischer Art. Das aus dem Exil heimgekehrte Volk wollte zunächst einem Wohnhäuser bauen und alles einrichten, was dazu gehört, ehe man an den Bau des Tempels gehen wollte (1,1 – 4). Dem hält der Prophet im Namen Gottes entgegen, dass ohne den Tempel der Wiederaufbau der Segen fehlt und nichts gelingen wird (1,6 –11). Ging es bei einem andern Widerstand gegen den Tempelbau darum, dass er unter den gegebenen Umständen viel zu armselig werden würde? Steht das vielleicht hinter 2,3. 9? Jedenfalls ist der Bau des Tempels die Voraussetzung für das Kommen der universalen Herrschaft Jahwes(2,6 –9; 3,22 – 23). Der Bau des Tempels hat also „heilsgeschichtliche” Bedeutung. Damit hängt natürlich die Rolle Serubbabels als Spross Davids zusammen[02]. Haggai sieht in ihm den Gesalbten, während Sacharja noch einen zweiten Gesalbten kommen sieht, nämlich außer Serubbabel den Großpriester Josua. Wenn außerdem in Hag 2,6 –7. 32 von Erschütterungen die Rede ist, dann ist zu bedenken, dass gerade im Jahr 520 das Perserreich große Erschütterungen durchmachte. 519 konnte sich Darius gegenüber den zentrifugalen Kräften durchsetzen.[03]

Die Frage ist, ob die Leute, von denen Esr 4,1 – 3 die Rede ist, dieselben sind wie die Unreinen Hag 2,10 –14. Sind es die Samaritaner[04]?

Übersetzung

Ausgangstext der Übersetzung ist die Biblia Hebraica Quinta Band 13,Stuttgart, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2010

1. Kapitel

(1) Im zweiten Jahr des Darjawesch[05], des Königs, im sechsten Monat, am ersten Tage des Monats erging ein Wort Jahwes in die Hand von Chaggaj[06], des Gottessprechers an Serubbabel ben [07]Schealtiel[08], Kommissar für Jehuda, und an Jehoschua, Großpriester, folgendermaßen: (2) „So spricht Jahwe der Heerscharen folgendermaßen: Dieses Volk sagt: die Zeit ist nicht gekommen, die Zeit das Haus Jahwes zu bauen.” (3) Und es erging ein Wort Jahwes in die Hand von Chaggaj, des Gottessprechers, folgendermaßen:

(4) „Ist dies für euch selbst die Zeit, in euren getäfelten Häusern zu sitzen;

und dieses Haus[09] ist wüst[10]?

(5) Und jetzt”, so spricht Jahwe der Heerscharen:

„Setzt eure Herzen auf eure Wege[11]!

(6)Viel habt ihr gesät und wenig eingebracht[12],

esst, und es gibt nichts zur Sättigung, trinkt, und es gibt nichts zum Betrinken,

bekleidet euch, und es gibt für einen nichts zum Wärmen;

und wer sich verdingt, der verdingt sich um einen durchlöcherten Beutel.”

(7) So spricht Jahwe der Heerscharen:

„Setzt eure Herzen auf eure Wege[13]!

(8) Steigt auf den Berg, und ihr werdet Holz bringen und baut das Haus!

Und ich werde Wohlgefallen an ihm haben, und ich will mich verherrlichen,” spricht Jahwe.

(9) Wende dich zum vielen, und sieh, es ist wenig,

wenn ihr etwas ins Haus[14] bringt, dann blase ich hinein;

Weswegen?” Spruch Jahwes der Heerscharen,

denn mein Haus, das ist wüst, und ihr rennt jeder für sein Haus.

(10) Deshalb wird über euch der Himmel den Tau zurückhalten;

und die Erde hält ihren Ertrag zurück[15].

(11)Ich werde Dürre ausrufen[16] über das Land und über die Berge und über das Getreide

und über den Wein und über das Öl und über alles, was aus dem Boden hervorkommt;

und über Mensch und über Vieh und über alle Arbeit der Hände.”

(12) Und Serubbabel ben Schaltiel und Jehoschua ben Jehozadaq, der Großpriester, und das ganze übrige Volk gehorchte der Stimme Jahwes der Heerscharen und den Worten Chaggajs, des Gottessprechers, wie ihr Gott Jahwe ihn gesandt hatte; und das Volk fürchtete sich vor Jahwes Angesicht. (13) Und Chaggaj, Jahwes Bote[17], sprach im Sendungsauftrag Jahwes zum Volk folgendes: „Ich bin mit euch, Spruch Jahwes.” (14) Und Jahwe erregte den Geist von Serubbabel ben Schealtiel, des Kommissars für Jehuda, und den Geist von Jehoschua ben Jehozadaq, des Großpriesters, und den Geist der Übrigen des Volkes; und sie kamen und verrichteten die Arbeit im Hause von Jahwe der Heerscharen, ihres Gottes. (15) Am 24.Tage des Monats…[18] im zweiten Jahr von Darjawesch, des Königs[19].

2. Kapitel

(1) Im siebenten (Monat), am einundzwanzigsten des Monats; erging das Wort Jahwes in die Hand des Gottessprechers Chaggaj folgendermaßen: (2) „Sprich doch zu Serubbabel ben Schaltiel, dem Kommissar für Jehuda, und zu Jehoschua ben Jehozadaq, dem Großpriester; und zu den Übrigen des Volkes folgendes:

Wer unter euch Übriggebliebenen, der dieses Haus gesehen hat

In seiner früheren Herrlichkeit;

Und wie seht ihr es jetzt, ist es nicht wie ein Nichts in euren Augen[20]?

Und jetzt, sei stark Serubbabel,” Spruch Jahwes, „und sei stark, Jehoschua ben, Jehozadaq, Großpriester, und sei stark, ganzes Volk des Landes,” Spruch Jahwes, „ und sei tätig!

Denn ich bin mit euch,” Spruch Jahwes der Heerscharen.”(5) Das Wort, das ich mit euch beschlossen habe bei eurem Auszug aus Mizrajim[21],

und mein Geist[22] steht in eurer Mitte;

fürchtet euch nicht!”

(6) Denn so spricht Jahwe der Heerscharen: „ Es ist wieder noch ein Kleines,

und ich werde den Himmel und die Erde erschüttern

und das Meer und das Trockene[23].

(7) Und ich werde alle Völker erschüttern und die Kostbarkeiten aller Völker werden kommen;

und ich werde dieses Haus mit Herrlichkeit erfüllen,” spricht Jahwe der Heerscharen.

(8)„Mein ist das Silber und mein ist das Gold,” Spruch Jahwes der Heerscharen.

(9)Größer wird die Herrlichkeit dieses künftigen Hauses sein als des früheren,”

spricht Jahwe der Heerscharen;

und an diesem Ort verleihe ich Frieden,” Spruch Jahwes der Heerscharen.

Am vierundzwanzigsten (Tage) des neunten (Monats) im zweiten Jahr von Darjawesch; erging ein Wort Jahwes an Chaggaj, den Gottessprecher folgendermaßen; (11) „ So spricht Jahwe der Heerscharen: Frage doch den Priester folgendermaßen nach einer Weisung: (12) Wenn jemand im Bausch seines Gewandes heiliges[24] Fleisch trägt und mit seinem Saum Brot und eine Speise und Wein und Öl und Nahrungsmittel, ist es dann geheiligt?” Und die Priester antworteten und sprachen: „Nein.” (13) Und Chaggaj sprach: „ Wenn jemand eine unreine Seele[25] mit all diesem berührt, ist es dann unrein?” Und die Priester antworteten und sprachen: „Es ist unrein.[26]” (14) Und Chaggaj antwortete und sprach:

„So ist dieses Volk und so ist diese Nation vor mir, Spruch Jahwes,

„so ist alles Tun ihrer Hände;

und wer dort Opfert, ist unrein[27].

(15) Und jetzt richtet doch euer Herz auf diesen Tag und darüber hinaus;

bevor ihr Stein auf Stein legt im Tempel Jahwes!

(16) Wer seid ihr? Man kommt zu einem Haufen von zwanzig[28], und es sind zehn;

man kommt zu einer Kufe, um fünfzig Kelter zu schöpfen, und es sind zwanzig[29].

(17) Ich ließ euch schlagen mit Trockenheit und mit Blässe und mit Hagel[30],

alle Werke eurer Hände,

und ich war nicht mit euch[31]

(18) Richtet doch euer Herz auf diesen Tag und darüber hinaus!

Vom vierundzwanzigsten (Tag) des neunten (Monats), auf den Tag, an dem der Tempel Jahwes gegründet wurde richtet euer Herz.

(19 Ob noch Samen im Speicher ist,

und ob die Rebe und die Feige und der Granatapfel und der Ölbaum nicht tragen;

von diesem Tage an werde ich segnen.

(20) Und das folgende Wort Jahwes erging zum zweiten Mal an Chaggaj am vierundzwanzigsten (Tag) des Monats:

(21)„Sage Serubbabel, dem Kommissar von Jehuda folgendes:

Ich erschüttere den Himmel und die Erde[32].

(22) Und ich stürze den Thron der Königreiche und vernichte die Macht der Königreiche der Völker;

und ich stürze den Wagen um und seine Reiter, und die Pferde gehen zu Boden,

jeder durch das Schwert seines Bruders.

(23) An diesem Tage, „Spruch Jahwes der Heerscharen,” nehme ich dich, Serubbabel ben Schealtiel, meinen Sklaven,[33]” Spruch Jahwes, „ und mache dich wie ein Siegel, denn ich habe dich erwählt,” Spruch Jahwes der Heerscharen.

[01] Erich Zenger, Einleitung in das Alte Testament, 4.Aufl., Stuttgart 2001, Seite 521
[02] Erhard S. Gerstenberger, Israel in der Perserzeit (Biblische Enzyklopädie Band 8), Stuttgart 2005, Seite 158 bis 159
[03] Zu den geschichtlichen Zusammenhängen siehe Karl-Martin Beyse, Serubbabel und die Königserwartungen der Propheten Haggai und Sacharja, Berlin 1971
[04] Wilhelm Nowack, Die kleinen Propheten (Göttinger Handkommentar zum AT III/4), Göttingen 1922 Seite 321, dagegen Zenger Einleitung Seite 522
[05] V: Esra 4,24
[06] V: Esra 5,1
[07] E: I.Chr 3,19 ist derselbe Serubbabel nicht ein Sohn Schealtiels, sondern ein Sohn Pedajas. Beide waren Söhne von König Jojakin, der beim ersten Exil (597) nach Babylon verschleppt wurde.
[08] V: Esra 5,2
[09] E: Gemeint ist der Tempel
[10] V: II.Sam 7,2
[11] E: D.h.: Achtet auf euch!
[12] V: 2,16; Dt 28,38
[13] E: D.h.: Achtet auf euch!
[14] E: Hier ist nicht der Tempel gemeint, sondern ein Wohnhaus
[15] V: I.Kön 17,1
[16] V: 2,17; Am4,9
[17] Mal 2,7
[18] T: Hier steht yvvb (spr. beschischi,)d.h.. „im sechsten“. Man wird konjizieren können: „Im sechsten Monat“ (vgl. 1,1)
[19] T: Diesem Satz fehlt das Prädikat. Man wird den zweiten Teil von Vers 15 (15b) an den Anfang von 2,1 zu setzen haben.
[20] V: Esra 3,12
[21] V: Ex 19,5
[22] V: Sach 4,6
[23] V: Hebr 12,26
[24] E: Koscheres Fleisch
[25] E: einen Toten
[26] V: Lev 21,11; 22,1. 4; Nu 5,2; 6,6; 9,6 -7
[27] V: Esra 4,1 – 3
[28] E: Ein Haufen von Körnern auf zwanzig Maßeinheiten geschätzt
[29] V: 1,6
[30] V: 1,11
[31] T: Die Übersetzung dieser Zeile beruht auf einer Konjektur
[32] V: Vers 6
[33] V: Sach 4,6 – 7